Woher kommt der Begriff „Achtsamkeit“ und welche Arten gibt es?

Der Begriff Achtsamkeit wurzelt in religiösen Traditionen, insbesondere dem Buddhismus, aber auch dem Juden- und Christentum (Hiendl, 2016, S. 16–31). In diesem Blog-Artikel richten wir unseren Fokus auf moderne, wissenschaftliche Definitionen und Interpretationen des Begriffes (Hiendl, 2016, S. 41–44). In der Regel wird unter dem Begriff Achtsamkeit eine individuelle, auf die Person bezogene Achtsamkeit verstanden (Gebauer, 2017, S. 12). Innerhalb dieses individuellen Konstruktes können wiederum zwei Entwicklungsstränge unterschieden werden, das meditative und das sozial-kognitive Achtsamkeitskonzept (Becke, 2011, S. 37). Sozial-kognitive Achtsamkeit (Chang-Gusko, 2019, S. 9–11)bezieht sich in Abgrenzung zur meditativen Achtsamkeit nicht nur das Individuum, sondern schließt auch soziale Aspekte ein (Langer & Moldoveanu, 2000, S. 7). Neben dem individuellen Achtsamkeitskonstrukt wird der Begriff auch explizit im Zusammenhang mit Organisationen verwendet. Hierbei spricht man von kollektiver (Gebauer, 2017, S. 12) bzw. organisationale Achtsamkeit (Chang-Gusko, 2019, S. 11). Im Folgenden werden die Begriffe erklärt.

Meditative Achtsamkeit

Meditative Achtsamkeit definiert der Achtsamkeitspionier Jon Kabat-Zinn als: “the awareness that emerges through paying attention on purpose, in the present moment, and nonjudgmentally to the unfolding of experience moment by moment” (Kabat-Zinn, 2003, S. 145). Gebauer übersetzt diese Definition wie folgt: Achtsamkeit ist „eine bestimmte Form der psychischen Aufmerksamkeit, die absichtsvoll ist, sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht und nicht wertend ist“ (Gebauer & Brückner, 2018, S. 107). Eine weitere Definition gibt Grossman: “Mindfulness is characterized by dispassionate, no evaluative and sustained moment-to-moment awareness of perceptible mental states and processes”(Grossman, Niemann, Schmidt & Walach, 2004, S. 36). Bishop beschreibt in seiner Definition von Achtsamkeit zwei zentrale Komponenten. Erstens die Selbstregulation der Aufmerksamkeit und als zweite Komponente eine bestimmte Haltung, die mit der Aufmerksamkeit verbunden ist, nämlich eine Haltung der Neugierde, Offenheit und Akzeptanz für das, worauf sich die Aufmerksamkeit richtet (Bishop, 2004, S. 232). Nach Schmidt (Schmidt, 2014, S. 17) der Bischop übersetzt und zusammenfasst (Bishop, 2006, S. 232–233) beschreibt individuelle Achtsamkeit Prozesse innerhalb einer Person, die Praxis ist somit in erster Linie auf die intrapersonale Ebene gerichtet.

Sozial-kognitive Achtsamkeit

Langer und Moldoveau erweitern die strikt individualisierte meditative Achtsamkeit um eine soziale, prozesshafte Komponente und legen damit eine wichtige Grundlage für das sozial-kognitive Achtsamkeitskonstrukt. Sie beschreiben den psychologischen Prozess, der mit Achtsamkeit verbunden ist näher. Achtsamkeit hilft uns, so Langer und Moldoveanu (Langer & Moldoveanu, 2000, S. 2–3) neue Bedeutungen bzw. Unterscheidungen („distinctions“) aufzuzeichnen. Die Praxis macht den Kontext und die Perspektive von Handlungen bewusster und hält den Praktizierenden im gegenwärtigen Moment. Als unachtsam wird beschrieben, wer auf aus der Vergangenheit stammende Unterscheidungen und Kategorien vertraut und zurückgreift. Gegenwärtiges Verhalten würde so von diesen alten Regeln und Routinen bestimmt, ungeachtet der aktuellen Umstände.

Der sozial-kognitive Achtsamkeitsansatz betont seinen Beitrag zur Lösung von sozialen Problemen. Achtsamkeitsinduzierte Veränderung bezieht sich hier nicht nur auf den Einzelnen, sondern auch auf Gruppen und Institutionen (Langer & Moldoveanu, 2000, S. 7).

Wenn in diesem Blog von individueller Achtsamkeit gesprochen wird, so entspricht dies dem erweiterten Verständnis der Sozial-kognitiven Achtsamkeit. So verstanden wirkt die Praxis der Achtsamkeit unmittelbar auf die intrapersonale und interpersonale Ebene.

Kollektive bzw. organisationale Achtsamkeit

Der Begriff der organisationalen Achtsamkeit kommt aus der Organisations- und Managementforschung. Dort ist das von Karl Weick und Kathleen Sutcliffe geprägte organisationale Achtsamkeitskonzept von zentraler Bedeutung (Becke, 2011, S. 46). Weick und Sutcliffe gehen in ihrer Argumentation von der Forschungsfrage aus, „was können wir von Organisationen lernen, die immer mit Katastrophen (bzw. dem Unerwartetem) rechnen müssen“ (Weick & Sutcliffe, 2010, S. 20). Sie untersuchten die Organisationsstrukturen (Weick & Sutcliffe, 2010, S. 2–4) von „High Reliability Organizations“ (HROs) also „Organisationen mit hoher Zuverlässigkeit“, wie beispielsweise Feuerwehreinheiten oder atombetriebene Flugzeugträger, bei denen Unzuverlässigkeit katastrophale Konsequenzen haben können (Weick & Sutcliffe, 2010, S. VII–VIII).

Zusammenfassend kommen sie zu dem Ergebnis, dass ein Teil deren Erfolges damit zusammenhängt, dass es ihnen gelingt vor dem Eintritt einer Krise, eine von „Achtsamkeit geprägte Organisationsstruktur“ insbesondere eine Infrastruktur mit Routinen und Krisen-Ressourcen aufzubauen (Weick & Sutcliffe, 2010, S. 2–4).

Weitere Details und Informationen zur kollektiven Achtsamkeit folgen in einem späteren Blog-Beitrag.

Je nach dem Verständnis von Achtsamkeit können unterschiedliche Wirkungen auf intrapersonaler, interpersonaler und organisationaler Ebene abgeleitet werden. Wie wirkt Achtsamkeit? Dieser Frage gehen wir in folgendem Blog-Artikel nach.

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